Sonntag, 21. Juni 2020

Der Bachmannpreis 2020

Heute, am Sonntag (21.06.2020) hat die Jurydiskussion und Verleihung des Bachmannpreises Digital – der 44. Tage der deutschsprachigen Literatur – stattgefunden. Neben Helga Schubert bekamen Lisa Krusche, Egon Christian Leitner, Laura Freudenthaler und Lydia Haider Preise zugesprochen.

Hierzu ein ein Kommentar von Hans Bäck:

Und es hat doch geklappt!

Corona hat sich bemüht, doch die Literatur war stärker! Die Literatur wird nicht untergehen! Die moderne Technik und ein Kraftakt des ORF mitsamt 3SAT  haben es möglich gemacht, die diesjährigen „Tage der deutschsprachigen Literatur“ gemeinhin als Bachmannpreis bekannt, mitzuerleben. Natürlich die Atmosphäre des ORF Theaters in Klagenfurt fehlte, ebenso der Kaffee im Untergeschoss, die Spaziergänge durch den Park oder durch die Stadt. Aber dafür hatte man zu Hause die Möglichkeit sich am PC oder im TV die Lesungen, Diskussionen anzuhören – fußfrei ohne Rückenschmerzen auf den unbequemen Sesseln oder Bänken. Und ich für meine Person halte den Bequemlichkeitsgewinn gerne fest. Umsomehr ganz wenige Autorinnen/Autoren dabei waren, deren Vortrag zum Einschlafen verführte. Ganz wenige, d. h. es gab sie schon noch, obwohl die Lesequalität auch zugenommen hat. D. h. die Damen und Herren sind nun doch weitgehend in der Lage ihre Texte so vorzutragen, dass diese von ihnen nicht selbst umgebracht werden. Haben wir oft genug erlebt und es gibt heute noch viele Autoren, die man am Liebsten bitten möchte, ‚geh ersuche jemand deinen Text zu lesen, denn du kannst das nicht.’
Doch lassen wir diese allgemeinen Bemerkungen, kommen wir zum „Wettlesen“ an sich.
Die Liste der Kandidaten hatte bereits eine Überraschung parat: Helga Schubert, in den Jahren 1986 – 1990 selbst als Jurorin für die DDR damals tätig, trat nun als 80-jährige an! In der Vorstellung sagte sie, dass sie bereits 1980 eingeladen war, aber damals keine Ausreisegenehmigung der DDR erhielt. Ja, das gab es einmal und ist noch gar nicht so lange her! Es ist ja schön und gut, dass die politischen Nachfolger des damaligen SED-Regimes heute als parlamentarische Partei im Berliner Bundesrat sich für die Freiheit der Kunst stark machen und einsetzen. Für Frau Schubert war diese Episode nur einen Nebensatz wert: Sie freue sich, das all jene, die damals ihre Reise nach Klagenfurt verhinderten, nun bereits tot seien. Schön, das so sagen zu können. Wenig überraschend, für mich zumindest, dass Frau Schubert nach 3 Wahlgängen als Bachmannpreisträgerin feststand. Auch die übrigen Preisträger 2020: Deutschlandfunk-Preis ging an Lisa Krusche (Braunschweig, vorgeschlagen von Klaus Kastberger), der KELAG-Preis ging an den Grazer Egon Christian Leitner (ebenfalls von Kastberger vorgeschlagen), während der 3-SAT Preis an Laura Freudenthaler ging. Lange sah es so aus, dass gerade diese Autorin einer der vorderen Preise erhalten würde, doch gingen die notwendigen Stichwahlen immer zu ihren Ungunsten aus. Eingeladen wurde sie von Brigitte Schwens-Harrant, begeisterte mit ihrem Text ungemein, doch in den Abstimmungen wurden ihr immer wieder andere – eben die bereits Erwähnten – vorgezogen. Doch auch der 3 SAT Preis ist nicht zu verachten und um Klaus Kastberger zu zitieren, Laura Freudenthaler wäre eine Aktie, auf die man wetten könne.
Neue Gesichter in der Jury, neue Wortgefechte, nicht nur braves Abnicken von allen möglichen Textpassagen. So kam es durchaus vor, dass ein Text als eine typische Gewerkschaftsprosa mit Gerechtigkeitspathos eingestuft wurde. Oder, m. E. das Ärgste was einem Text passieren kann, als „Befindlichkeitsprosa“ genannt zu werden. Alles das gab es diesmal. Eine Jury, die auch Konfrontationen nicht scheute. Und ich glaube, das war und ist auch gut so, man darf doch einen schwachen Text auch als solchen bezeichnen.
Ein Wort noch zu den Journalisten: Es fehlte natürlich die Einladung nach Klagenfurt, Corona machte es unmöglich, live dabei zu sein. Die Kulturredakteure sind daher so, wie ich als Otto Normalleser, auf TV und PC angewiesen. Das bedeutet einmal, es gibt keine Dienstreise nach Klagenfurt, keine Gespräche mit allen möglichen bedeutenden Menschen aus dem Literaturbetrieb. Dementsprechend dünn fallen die Berichte in den Tageszeitungen aus! Wer von den Journalisten hat auch die Zeit sich am Donnerstag mehr als 5 Stunden, am Freitag nochmals fast 6 Stunden und am Samstag mehr als 4 Stunden hinzusetzen und konzentriert zuzuhören. Das kann sich nur ein Pensionist wie ich erlauben!
Und ich habe es halt getan und es hat Spaß gemacht! Doch, auch ich würde das Life-Erlebnis im ORF-Theater vorziehen.
Ja, da gibt es noch den Publikumspreis. Dieser wird von den Hörern und Sehern per Internetabstimmung vergeben. Eine an sich gute Idee, was sich dabei aber an Manipulationsmöglichkeiten   ergeben, haben wir noch in guter, bzw. schlechter Erinnerung. Als damals eine Dame, deren Texte absolut keine Chance auf nur ein winziges Preiserl gehabt hätten, ihre Fangemeinde so mobilisierte, dass sie den Publikumspreis überlegen gewann. Lydia Haider erhielt heuer diesen Preis, sie war zwar nicht auf der Shortlist (für mich eher verwunderlich), doch die Internetabstimmung fiel haushoch zu ihren Gunsten aus. Und so schlecht war ihr Text gar nicht, dass er nicht einmal auf die Shortlist gekommen ist.
Also, auch ein zufriedenstimmenden Ergebnis!
Bachmannpreis, nein, die 44.  Tage der Deutschsprachigen Literatur alles bestens? Nun ja, Immerhin, Hubert Winkels ist ab dem kommenden Jahr nicht mehr Jury-Vorsitzender, das ist ja auch etwas, auf das ich persönlich schon einige Jahre gewartet habe. Keine Überraschungen? Mit allen Preisträgern einverstanden? Ja und nein, aber das ist in jedem Jahr noch so gewesen. Vielleicht die Überraschung: Die Jury nahm sich heuer einmal nicht sooo wichtig. Es ist schön dass es die Literatur gibt, diese wird auch nicht untergehen, wenn die Damen und Herren der Jury erkennen, dass sie für diese 3 oder vier Tage nicht der Mittelpunkt der Welt sind, nicht einmal der literarischen, dann ist auch viel gewonnen. Aber das liegt überwiegend an der Auswahl der Juroren.


Hans Bäck

Buchrezension von Doris Kloimstein: Hans Bäck: Stahl, Seide, Sog & Druck.


Roman.- Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2020, ISBN 978-3-96145-876-9, 408 Seiten, 18,50.-€

Das Scheitern ist allen Idealisten gemeinsam – die Quintessenz des über vierhundert Seiten starken Romans von Hans Bäck. Wer davon überzeugt ist, dass Wirklichkeit, Wissen und Moral mit Denken und Erkenntnis ursächlich verbunden sind, der will sich dennoch an einen Strohhalm der Hoffnung klammern. Diesen Strohhalm der Hoffnung bekommt man am Ende geschenkt, wenn man die Lektüre durchgehalten hat. Der Autor macht es dem Leser, der Leserin, allerdings nicht leicht, weil er mit der Sprache sehr nüchtern hantiert, streckenweise die Handlung fast protokollarisch vorantreibt, der Text sich mitunter so sperrig liest wie der Titel.
Der Roman besteht aus zwei Teilen: Teil 1 Stahl und Seide, Teil 2 Sog und Druck und spannt einen Bogen von den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis in den Beginn des 21. Jahrhundert. Die Liebesgeschichte der Protagonisten Andreas Corman und Celia Fürstner ist eingebettet in österreichische Zeit-, ja Wirtschaftsgeschichte – mit Rückblenden ins k & k Altösterreich, wo Triest und Pula noch österreichisch waren. Das Liebespaar reist beruflich und privat in diese Gegend, ist ein Karrierepaar der österreichischen Nachkriegs- und Wiederaufbauleistungsgesellschaft, mustergültig im Hamsterrad des Erfolgs rennend. Alle anderen handelnden Personen sind wie geschaffen, um das Scheitern der beiden exemplarisch zeigen zu können. Andreas Corman könnte durchaus das Alter Ego des Autors sein, weil in seiner Biografie zu lesen ist, dass er gelernter Betriebswirt und Maschinenbauer ist. Eine Realfiktion könnte man den Roman nennen. Das Tal der Seidenfabrikanten im Piemont gibt es tatsächlich, wie die Schiffswerft bei Triest.
Wer nebenbei erfahren möchte, wie man Bleche rollt und schweißt, dass eine Harnstoffanlage einen übergroßen Kessel braucht, warum die Seidenraupe eine Raupe ist und unter Garantie kein Wurm, der möge sich durch die Seiten fressen, wie der sprichwörtliche Bücherwurm. Wer der sogenannten Babyboomer-Generation angehört und dem Bildungsbürgertum, wird sich immer wieder selber zu erkennen glauben, wenn da Heinrich Böll zitiert wird, wenn über Opernbesuche in Wien, München und Mailand erzählt wird, von Museumsbesuchen und der Kunststadt Basel berichtet, die Qualität italienischer Rotweine nebenher gepriesen wird, wenn auch Berg- und Gipfelromantik zum Geschehen gehört. Arbeitseifer, Stress, Managementfehlentscheidungen, Intrigen und die große Sehnsucht nach dem erfüllten Leben sind den Lesern aus eigener Erfahrung gegenwärtig, wie die Frage nach dem Wozu, die gerade dann hochploppt, wenn das Schicksal alles Plan- und Machbare mit einem Schlag ruiniert.
Es immer die Frage nach dem Sinn des Lebens, die jedermann nur zu gerne beiseiteschieben will, um lebenstauglich zu funktionieren. Ein Mensch ist aber ein Mensch und keine Maschine und der Sehnsucht nach dem erfüllten Leben ist nicht mit wirtschaftlichen Parametern beizukommen.
Hans Bäck hat beim Schreiben einen langen Atem bewiesen. Es ist der Atem des Lebens, wenn ein Mensch doch schon ein Stück in seiner Mitte ruht, zurückschauen kann, seiner eigenen Generation ganz menschenfreundlich den Spiegel vorhält und der Generation, die das Leben noch vor sich hat, „etwas“ mitgeben will. Ein Schriftsteller benennt dieses „etwas“ nicht explizit, er ist ja kein Lehrer mit pädagogischem Impetus, aber ein Mensch, der das Wesentliche zur Sprache bringt, von A wie „aufschreiben“, über B wie auch „bruchstückhaft“ zu C wie „Corman“ und „Celia“, weil jeder, jede von uns so ein C ist.

Doris Kloimstein