Luchterhand ISBN 978-3-630-8750-4
Melitta Breznik, in Kapfenberg geboren, AHS Matura, Medizinstudium
in Graz und Innsbruck, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, lebt in
der Schweiz.
Seit Jahren lässt Breznik immer wieder mit ungewöhnlichen
Büchern aufhorchen. Ungewöhnlich, da immer wieder – und nicht nur zwischen den
Zeilen – ihr Beruf durchleuchtet. Sie ist eine begnadete Schriftstellerin,
welche anscheinend die Doppelbelastung - oder doch besser Doppelbegabung - anscheinend
immer wieder bewältigt.
Nun legt sie einen schmalen Band vor – gerade einmal 160
Seiten – um vom Sterben ihrer Mutter zu berichten. In der Flut von Büchern zu
diesem Thema, die nicht nur seit Corona über uns hereinbrechen, ist das eine
wohltuende Ausnahme. Natürlich, es geht um das Abschiednehmen, das Loslassen,
es geht um die alltäglichen Belastungen, welche auf die pflegende, begleitende
Tochter hereinbrechen. Es geht auch um die Frage, was kann, darf, soll eine Tochter,
die eben zufällig Ärztin ist, der unendlich leidenden Mutter an Erleichterung
verschaffen. Ja, es wird ausgesprochen: An eine Verkürzung des Leidens denken?
Das nehme ich als Rezensent vorweg, trotz der Möglichkeiten in der Schweiz, in
der die Autorin lebt, wird das nicht
vorgenommen. Erleichterungen ja, aber selbst die Verabreichung von
Schmerzmitteln wird zur Überlegung „Wo beginnt die aktive Sterbehilfe und wo
ist sie passiv, beeinflusst doch die kleinste Handlung den Sterbeprozess, jedes
Geben oder Weglassen einer Schmerztablette, einer Infusion oder einer
Beruhigungstablette.“ (S 129).
Die Autorin verschweigt auch nicht die psychischen und
physischen Belastungen, die sich ergeben, die Belastungen durch „gutgemeinte“
Hilfsangebote, das Beharren der Mutter, möglichst lang selbstbestimmt zu
bleiben – ohne es als Sturheit zu bezeichnen, das wäre die herkömmliche,
ortsübliche Aussage des Außenstehenden. Doch das kommt im Wortschatz von
Breznik nicht vor. Sie hat als erfolgreiche und arrivierte Autorin ein anderes
Repertoire zur Verfügung.
Und sie lässt den Leser teilhaben an der Stille, welche die
beiden Frauen in den Nächten umfängt, aber auch an den hellen Tagen, wenn die
Mutter, erschöpft von den Mühen der Morgentoilette, wieder einschläft und die
Tochter ebenso erschöpft die Stille in sich aufnimmt.
Eine Studentin der Uni Wien fragte den Rezensenten
anlässlich eines Telefongespräches, wie autobiografisch die Texte von Melitta
Breznik seien. Nun, nach einer Rücksprache mit einer der Helferinnen, die auch
im Buch erwähnt wurde, ist dieses Abschiednehmen sehr genau und umfassend
beschrieben. Es stellt sich jedoch die Frage, warum will das jemand wissen?
Jemand, der die Autorin nicht kennt, womöglich nur vom Buch gehört hat? Was
bedeutet für einen Leser, eine Leserin noch dazu eine junge aus der nächsten
Generation, die Authentizität eines Textes? Ich habe der Anfragenden nur die
Antwort gegeben, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die meisten Texte der
Schriftsteller irgendwo autobiografisch sind, ob sie damit auch schon
authentisch sind, ist eine andere Frage. Beim Buch von Melitta Breznik halte
ich persönlich die Frage nach dem „Umfang“ der Autobiografie für unanständig.
Die Autorin legt hier einen ganz entscheidenden Abschnitt, zeitlich ja nur ganz
kurz, vom 17. Oktober bis zum1. Dezember, ihrer Mutter-Tochter Beziehung dar
und lässt den Leser Einblick nehmen in den großen Abschied, der in irgendeiner
Form uns allen bevorsteht. Der große Abschied, der ein stilles Hinübergleiten
sein kann, ein fürchterliches Aufbäumen, ein theatralisches Abtreten, egal, es bleibt
ein ganz persönliches, intimes „Fortreisen für immer“ (Seite 158).
Es wäre schön, diesen Text auch von der Autorin persönlich
einmal vorgetragen zu bekommen. Immerhin, ihr letzter öffentlicher Besuch in
ihrer Heimatstadt liegt auch schon wieder 7 Jahre zurück. Wäre das eine
Anregung, liebe Fr. Dr. Breznik?
Hans Bäck