Freitag, 2. Oktober 2020

Buchrezension von Hans Bäck: "Sie packen aus - Frauen im Kampf gegen die Mafia"


von Mathilde Schwabeneder
Molden Verlag
ISBN 978-3-222-15056-2

Neun Reportagen von Frauen, die sich gegen die Mafia zur Wehr setzen. Geschrieben von der langjährigen ORF-Korrespondentin in Rom, nach ihrem 2014 erschienenen Buch „die Stunde der Patinnen – Frauen an der Spitze der Mafia Clans“ findet sie nun jene, die sich zur Wehr setzen. Nicht nur zur Wehr setzen, sondern sich ganz bewusst im Kampf gegen das organisierte Verbrechen engagieren. Sei es als Politikerin, als leitende Polizistin, Kronzeugin, Anwältin ...

Und als langjähriger Süditalien-Besucher stürzt sich der Rezensent auf dieses Buch und hört nicht auf zu lesen, bis der an der letzten Seite angelangt ist und dann, ja und dann nochmals beginnt. So unglaublich sind die Schicksale, die Arbeiten, die Leistungen jener neun – eigentlich sind es zehn – Frauen, welche die Autorin aufgestöbert hatte und die bereit waren in Interviews alles zu riskieren. Es ist unglaublich, wie anscheinend machtlos ein Staat gegenüber der Gewalt der Clans ist. Wie noch immer die verklärte Romantik den archaischen Ehrenkodex der „Familien“ das Denken und die Betrachtung von Außen beherrscht. Nebenbei erwähnt die Autorin, dass es selbst in „unregierbaren“ Städten wie Palermo oder Neapel immer wieder Ansätze gibt, die Hoffnungen aufkeimen lassen. Wenn einzelne Bürgermeister gewählt werden und Maßnahmen ergreifen, die zur Verbesserung der Lebenssituation führen, so sind dies Einzelerscheinungen und „es“ wird dafür gesorgt, dass derartige Experimente nicht von Dauer sind und mit Wahlen möglichst rasch wieder zu den ursprünglichen Zuständen zurückgekehrt wird. Da wird das gesamte Dilemma dieses Staates sichtbar! Und wie die Menschen sich damit abfinden, gottgewollt hinnehmen, dass die bereits die Kinder auf der Straße in die Tätigkeiten eingespannt werden. „Wir bräuchten mehr Ganztagsschulen“ wird am Beispiel Neapels von der Vize-Polizeidirektorin gesagt. Wäre es wirklich so einfach? Was ist mit der systematischen Unterwanderung wichtiger Wirtschaftszweige, die sich schon längst nicht mehr auf Italien beschränkt, sondern unverrückbar in Deutschland, der Schweiz, in Österreich Fuß gefasst hat? Man fragt sich, wie weit die europäische Zusammenarbeit geht oder vielmehr, wie wenig weit! In Italien ist es ermöglicht worden, das Vermögen von verurteilten Mafiabossen einzuziehen, so wurden allein von der Comorra rd. 7 Milliarden Euro an Vermögen konfisziert. Das erscheint ein beachtlicher Betrag zu sein, doch ist der Zeithorizont zu beachten: Das erfolgte innerhalb von 28 Jahren (zwischen 1992 und 2019), damit relativiert sich der Erfolg doch nicht so einschneidend, denn es sind im Jahresschnitt 263 Mio. Euro und das ist doch etwas mehr als ein „Abschreibeposten“.

Und trotzdem, sollte das Buch Mut machen, auch für den mitteleuropäischen Leser, denn es werden immer mehr Menschen, die NEIN sagen, sich dagegen stellen und immer mehr, die sich aktiv zur Weht setzen. „Aufgeben? Niemals! Rief eine der Betroffenen.

Unvergesslich wird dem Rezensenten ein Erlebnis bleiben, als bei einem plötzlichen Wolkenbruch auf der SS 12 zwischen Leifers und Bozen die Sexarbeiterinnen aus Nigeria in ihrer spärlichen Bekleidung am Straßenrand ausharrten. Das letzte Kapitel des Buches schildert eindringlich die Grausamkeit mit der Frauen aus Afrika ausgebeutet werden. Und eine, die es geschafft hatte, sagt uns allen „Viele Leute glauben, wir sind alle Nutten. Aber nicht alle Nigerianerinnen kommen hierher, um mit Sex auf der Straße ihr Geld zu verdienen.“ Und noch eines liegt der betroffenen Frau besonders am Herzen: „Die jungen Frauen in Nigeria müssen besser informiert werden über das, was sie in Europa tatsächlich erwartet.“

Das wäre der Schlüssel für viele Probleme – auch mit der illegalen Immigration! Bleib zu Hause, das was dich hier erwartet ist um Nichts besser.

Ein Buch, das unendlich traurig machte beim Lesen, das aber auch wieder Hoffnung gibt, wenn es tatsächlich die Frauen sind, welche der Mafia den Kampf ansagen. Oft genug war es schon so in der Geschichte, dass „etwas weiterging“ wenn Frauen zugriffen und nicht auf die Ohnmacht und das Nichtstun der Männer warteten. Auch scheint es in der italienischen Öffentlichkeit ein Umdenken zu geben, nicht nur Einzelne haben genug von der Tyrannei der Clans, es wird auch politisch opportun, endlich wirksam vorzugehen. Darf man Hoffnung haben? Dem wunderbaren Land und den großartigen Frauen und Männern Italiens wäre es zu wünschen!

Hans Bäck
Kapfenberg