Freitag, 1. Februar 2019

Buchrezension:


Christl Greller
„und fließt die zeit wie wasser wie wort“

Gedichte
Edition lex list 12
ISBN 978-3-99016-145-6


Manchmal denkt man sich, das kann doch nicht wahr sein, schon wieder ein Gedichtband am Schreibtisch. Und denkt womöglich weiter, „haben die Lyriker noch immer nicht alles ausgeschöpft, was an Poesie vorhanden ist?“
Ja, hin und wieder ist der Gedanke da, dass dieses oder jenes Buch besser nicht geschrieben worden wäre, man denkt an die Bäume und anderen Ressourcen die dafür dran glauben mussten. Hin und wieder ist aber ein Buch dabei, das von vornherein solche Gedanken verbietet: Man schlägt es auf, beginnt zu blättern, zu lesen und stockt. Stockt, liest nicht weiter, schaut auf die Zeilen und sieht vor seinem inneren Auge Bilder entstehen. Man hat wieder ein Buch erwischt, das es wert war gedruckt zu werden, wo keine Gedanken an vergeudete Bäume auftauchen. Zugegeben, sehr oft ist das nicht mehr der Fall, es scheint doch so zu sein, dass Lyrikern die Poesie ausgeht oder zumindest abhanden kommt.
Sicher, „man“ hat sich selber auch einmal an Gedichten versucht, aber bald festgestellt, dass andere Formen der Sprache mehr konvenieren, besser liegen, leichter zu handhaben sind. Ja, genau das! Es gibt in der deutschen Literatur nichts was schwieriger ist als (noch immer) Gedichte zu schreiben! Nicht nur von Goethe heißt es, er habe schon alles gesagt! Welche Fülle, welchen Schatz an Lyrik haben uns die Poeten aller Zeit bis herauf zu den Lebenden hinterlassen, da ist es wirklich schon einem legendären Sechser mit Jackpot zu vergleichen, wenn ein Gedichtband erscheint, der die eingangs geschilderten Symptome erzeugt: Lesen, innehalten, stocken, Bilder aufbauen lassen, zurückblättern, all das, was einem Leser von Gedichten diese Tätigkeit so anregend macht.
Der Leser folgt der Autorin beispielsweise „unters dach“ (Seite 17) und findet in der Aneinanderreihung von solch unpoetischen Begriffen wir leiterstiege, altholz, gefügt, gezimmert, lackspritzern, brandspuren, usw. eine Poesie vor, die bezaubert. Und pflichttreue Stufen, die in Halbtonschritten aufwärts... Ja, das ist Poesie. Da lohnt es sich sitzen zu bleiben, das Bild vor sich entstehen lassen und weiterzeichnen. Auf Seite 45 kommt „wolkensilber“ – welch gefährliches, weil abgedroschenes Bild! Und was macht die Dichterin daraus! Fünf oder vielmehr fünfeinhalb Zeilen, die mit den Worten enden: ...dann glück. Welch Wagnis! Glück in einem Gedicht des 21. Jahrhundert anzusprechen und dann noch dazu in einem so einfachen Bild wie in diesem Poem!
Zentrifugal, Seite 80 lässt uns wieder eine ganz andere Christl Greller schauen: „Durch Drehtürenkreisel gehen, rund und rund, und bist eine andere, auf der anderen Seite - und dennoch dieselbe. ... dennoch dieselbe, bist eine leichtere, auf der anderen Seite.“ Welche tiefe Einsicht! Und gleich auf der daneben liegenden Seite (81)  die Sonntagsstadt. Wer erinnert sich nicht an die „sumer in bradnsee“? Bilder stehen auf, Erinnerungen werden lebendig. Diese Rezension wird Mitte Dezember geschrieben, daher ist es naheliegend auf das Gedicht auf Seite 89 hinzuweisen: Dinner for one (self)
So präzise ist die Situation beschrieben, wenn es fällig oder notwendig wird, einen neuen Kalender aufzuhängen oder die Termine darin einzutragen: „die liste der pläne, der absichten, vorsätze – und ich will sie abarbeiten mit aufgestrickten ärmeln. Drei! Hundert! Fünf! Und sechzig chancen! Dann wieder Dezember!“
Liebe Christl Greller! Bei unserem letzten persönlichem Treffen (26. November im Palais Niederösterreich) da hattest Du so einen finsteren Gesichtsausdruck und dann lese ich wenige Tage darauf diesen wunderbaren Gedichtband. So schön! Noch etliche solcher Bücher wünsch ich mir! Auch wenn ich bereits den Vorsatz gefasst habe, keine weiteren Bücher bei mir einzureihen, da werde ich gerne wortbrüchig!

Schön, dass Du schreibst!

Hans Bäck
Kapfenberg