Freitag, 26. Februar 2021

Buchvorstellung: "Dicht; Aufzeichnungen einer Tagediebin" von Stefanie Sargnagel

 

Rowohlt, ISBN 978-3-498-06251-4

 


Natürlich darf eine Frau über Schulerlebnisse schreiben, die ihr das junge Leben so unerträglich machten! Aber klar, das haben Hunderte vor ihr auch gemacht und da waren Autoren, Dichter und Schriftsteller darunter – und es ist oftmals dabei Weltliteratur herausgekommen. Das muss man ja nicht immer erwarten.

Natürlich darf eine junge Frau darüber schreiben, wie sie den Alltag eben nicht in der Schule verbringt, sondern mit gleich Leidenden in den div. Parks verbringt und sie nicht wissen, wie sie zum nächsten Bier und Joint kommen. Denn das Leben kann schon hart sein! Auch darüber haben aberhunderte Menschen geschrieben, sich beklagt und auch dabei ist manchmal große Literatur herausgekommen.

Natürlich darf eine junge Frau darüber schreiben, wie sie und die Freunde mit Kleinkriminalität versucht haben, diese geschilderten Situation zu verbessern. Wie sie es geschafft haben, die Mutter, die ja so ahnungslos war, hinters Licht zu führen, die Fehltage in der Schule zu begründen, die ausbleibenden Lernfortschritte zu kaschieren. Ärgerlich ist nur, dass dies alles schon längst auch als Literatur bekannt geworden ist und eigentlich nichts Neues unter der Sonne darstellt.

Aber natürlich darf eine junge Frau schildern, dass ihr die Fernsehsendung mit den Simpsons sinnvoller erschien als den Tag in der Schule zu verbringen, und das muss als notwendig hingestellt werden. Blöd, dass auch andere vor ihr Ähnliches erkannt und niedergeschrieben hatten – auch damit einiges an Weltliteratur geschaffen.

Selbstverständlich darf eine junge Frau darüber schreiben, wie sie und ihre Clique eine junge Familie mit den notwendigen Möbeln von Ikea versorgten und an den Kassen ohne zu bezahlen vorbei kamen. All das ist zwar oft vorgekommen, jedoch zum Unterschied von den vorigen Schilderungen noch nicht so oft beschrieben worden und Weltliteratur wurde es auch bei der jetzigen Beschreibung nicht. Aber, natürlich, darf die junge Frau das auch schildern und schreiben, wir haben ja die Presse- und Redefreiheit, auch wenn die Junge und ihre Freunde es selber damit nicht so genau halten und Andersdenkenden sehr gerne das Wort abdrehen wollen.

Klar, mit der Zeit bewegen sich die Ereignisse weg von der Kleinkriminalität, sie werden größer, ärger, bedrohlicher. Auch das ist schon öfter zu lesen gewesen, ganz selten war da noch Literatur dabei, doch hin und wieder, auch als große Literatur,  zu finden. Ja, in anderen Sprachen, wobei anzunehmen ist, dass die junge Frau, trotz fast geschaffter Matura davon noch nie etwas gehört, geschweige gelesen hatte.

Natürlich darf sich die junge Frau, als sie gemeinsam mit ihrem Freund bei einem Einschleichversuch in einem Möbelhaus von der Polizei gestellt werden, als Bonnie und Clyde fühlen, ohne zu wissen wer das sei. Erst nach der Polizeihaft fand sie das Taschenbuch „The strange history of Bonnie and Clyde“. Folgend waren einige Stunden Sozialarbeit bei Neustart mit der Erkenntnis, „Kriminalität lohnte sich“ (Seite 232).

Natürlich darf und kann und soll sie das alles schreiben, nochmals, ich würde ihr nie den „Mund verbieten“.

Was ich nicht verstehe, was ich nicht nachvollziehen kann, ist, dass ein Verlag dieses Manuskript annahm und ein „Buch machte“. Wobei, 2016 erhielt diese junge Frau den BKS Publikumspreis beim Bachmannpreis in Klagenfurt. Ohne von der Jury auch nur im Ansatz in die Shortlist aufgenommen zu sein, gelang es durch die Motivierung und Organisation ihres Freundeskreises, ihrer Community, das Quorum für die notwendige Anzahl der Publikumsstimmen zu erreichen. Und das sollte für den Verlag womöglich reichen, um die Marketingüberlegungen anzustellen und die literarischen Grundsätze abzustellen!

Dann ist es kein weiter Weg mehr, dass Schriftstellerinnen sich ins Zeug legten und plötzlich stellt eine Nobelpreisträgerin fest: „ Dass es sowas noch gibt, ich glaub es nicht! Ein wirklich neuer Ton in der Literatur, hier ist er!“

Und dann müssen der ORF, die Zeitungen, das Feuilleton auf den Zug aufspringen, denn man will ja als Ablehnender solcher Machwerke nicht als Nazi hingestellt werden. Das ist das eigentlich Bedauerliche, dass man nicht mehr laut sagen darf, das etwas ein Schmarrn ist, wenn es ein solcher auch tatsächlich ist.

Ärgerlich ist, dass im Klappentext eine Sybille Berg alle Leser dieses Buches, die damit nicht einverstanden sind, mehr oder weniger zu Nazis erklärt. Diese Überheblichkeit ist so abstoßend, dass ich fast versucht bin, eine Beschwerde beim Verlag einzubringen.

 

Hans Bäck
Kapfenberg

Montag, 15. Februar 2021

Buchvorstellung: "Das schwarze Hotel"; Poeme von Michael Arenz und Fotografien von Hansgert Lambers

expose-verlag.de ISBN 978-3-925935-82-4

Der Rezensent: Hans Bäck

In Zeiten von Corona werden viele aufgeschobene Aufgaben oder Vorhaben hervorgeholt.

Sie liegen dann am Schreibtisch. Sei es nun ein Buch, das noch zu lesen wäre (eher selten) oder eine Rezension die versprochen wurde (bereits häufiger), ein eigener Text, der zu bearbeiten wäre (sehr oft und dringend), oder auch ein Gedanke, dem nachzugehen wäre. Das kann dann ein Blick aus dem Fenster sein, wo ein kahler Ast darauf wartet, dass sich eine Amsel darauf niederlässt. Es sind aber auch solche Gedanken und Ideen, die beim Anhören von schöner und guter Musik entstehen. Wobei natürlich das Dilemma bereits beginnt: Was ist nun gute und schöne Musik? Für jeden etwas anderes, ganz klar. Für mich eingeschränkt aber keinesfalls reduziert. “Mein“ Musikbogen reicht von ganz früh (so um 1300 herum) bis ganz nah an die Gegenwart heran. Doch ist das nur ein Einwurf in diesem Text gewesen, da mich das Entstehen von Gedanken dazu verführt hat und ich während diese Zeilen entstehen, nebenbei (darf man das?) Musik höre und zwar schmachtet ein Tenor in schönstem Italienisch von der Liebe. So, und unter diesen Begleitumständen, soll nun eine Rezension entstehen. Noch dazu zu dem neuen gemeinsamen Werk von Michael Arenz und Hansgert Lambers. Die Poeme, Gedichte, Erzählungen von Michael Arenz verfolge ich schon lange, der er ein regelmäßig im „Reibeisen“ veröffentlichender Autor ist. Eine treue Seele sozusagen. Und da ich bereits einige Bücher der beiden kongenialen Partner Arenz und Lambers vorliegen habe, ist mir auch der Fotograf kein Unbekannter mehr.

Doch, immer wieder ist es neu, mit den Beiden auf Entdeckungsreise zu gehen. Wenn Arenz davon schreibt, dass „Gemütlichkeit im Wandel der Zeiten“ (Seite 17) darin besteht, dass einer noch seine Stammkneipe aufsuchen kann, sein „Bier in Gesellschaft zu trinken, ohne dieser Gesellschaft angehören zu müssen“ so bekommt der Corona-geplagte im Homeoffice sitzende Autor ein wenig Heimweh nach dieser Gemütlichkeit. Auch wenn das geschilderte Bild alles andere als gemütlich ist. Doch das ist der Grundton der sich durchzieht: Sowohl die Fotos als auch die Texte, sind Zeichen einer kaputtgehenden Welt. Nein, Hoffnung, Zuversicht, da muss man lange suchen und sorgfältig blättern! Womöglich hält der Autor das Poem auf Seite 39 „Gerettet“ für einen solcher seltenen Hoffnungsschimmer: „… aber nicht im entferntesten begreifen konnte.“ Seite 49 „Guten Tag“ zeigt den Autor als genauen Beobachter und Hundeversteher, aber der Begegnende „hebt den Arm zum Gruß, nie ohne ein Lächeln“

Aber, „wir werden kein Gespräch mehr beginnen, unsere Worte sind schon lange fort“ dann folgt eine Reihe von Fotos, die eine absurde Schönheit zeigen könnten, wenn man darauf erpicht ist, solche auch im Verfall zu sehen. Dann folgt wieder auf Seite 80 ein Text „in dem es sich niemand leisten kann, mit einem freundlichen Gesichtsausdruck erwischt zu werden“ und nüchtern wird uns mitgeteilt, dass „Nachts sind die Friedhöfe geschlossen…“ (Seite 93). Den „Tiefpunkt“ der menschlichen Psyche und damit einen Höhepunkt der poetischen Inhalte dieses grandiosen Buches finde ich dann auf Seite 119 „Antoine et Arlette“ diesem Poem ist nichts mehr hinzuzufügen!

Noch etwas zum Fotografen, zu den Fotos. Stadtlandschaften, Straßenfotografien, unglaubliche Brandmauern oder unbebaute Grundstücke bei denen der Betrachter sich fragt: „Vor wie vielen Jahrzehnten das aufgenommen sei.“ Lambers nennt manche seiner Arbeiten bezeichnend „Seitenblicksfotografien“ wobei man dabei sichergehen kann, dass dies nichts mit der unerträglichen Fernsehsendung diesen Namens zu tun hat. Ich zitiere aus dem Nachwort von Axel Sommer (Seite 130): „ein Konzept der Konzeptlosigkeit, ein Konzept des Absichtslosen“ verfolgt. Oder, prägnant formuliert: „einen Blick ohne Umwege zum Bild werden lassen.“

 

Lieferbar ist das Werk über die beiden Autoren oder über den Fotoverlag von Hansgert Lambers www.expose-verlag.de ISBN 978-3-925935-82-4

 

Hans Bäck

Europa Literaturkreis Kapfenberg