Sonntag, 25. August 2019

"Kapuzenjunge" - Buchbesprechung


Heinrich von der Haar
Kapuzenjunge
Kulturmaschinen Verlag Ochsenfurt
ISBN 978-3-943977-90-5

Bevor ich zur eigentlichen Rezension komme, eine Vorbemerkung:

Am 21. 8. wurde das Buch zugestellt, ich begann  am Abend mit der Lektüre, und war am 22. 8. um 02h15 fertig. Meine Notizen zusammengeräumt, ins Bett und am Vormittag ins Cafe. Ab 12h zu Hause und im Radio auf Ö1 das Mittagsjournal gehört. Da war die Journalistin und Buchautorin Petra Ramsauer zu Gast und sprach mit dem Moderator über die Rückholung der IS-Kinder und Waisen nach Deutschland und Österreich. Plötzlich ergab sich für das Buch von Heinrich von der Haar eine ungeahnte Aktualität! Was ist zu tun? Diese Kinder in dem mörderischen Milieu zu belassen, den Großeltern die Kinder und die Verantwortung übertragen, diese Kinder zu Hause aufzunehmen und zu Deutschen und Österreichern zu erziehen? Die Journalistin sprach wörtlich von wandelnden Zeitbomben, die in diesen syrisch/kurdischen Lagern heranwachsen. – Dieses Interview war nicht einmal 24 Stunden nach der Lektüre des „Kapuzenjungen“!!
Doch nun zu dem neuen Roman von Heinrich von der Haar:

Vor einigen Jahren begann er mit dem Erfolgsroman „Mein Himmel brennt“, es folgte der „Idealist“, wir kennen daher die Protagonisten weitgehend: Heiner hat einen libanesischen Jungen, Vollwaise, bei sich aufgenommen, will ihn zu einem vollwertigen und akzeptierten Mitglied der deutschen Gesellschaft machen. Der alleinerziehende Vater scheut sich nicht, seine gesellschaftlichen Ideale, wie Gewaltfreiheit, fördernde Erziehung, klassenlose Gesellschaft, Überwindung des Konsumzwanges und Kapitalismus auch bei der Erziehung seines Jani umzusetzen. Als Lehrer in berufsbildenden Institutionen für benachteilige Jugendliche kennt er die Anforderungen und Erwartungen. Verhaltensauffälligkeiten des kleinen Jani bereiten Probleme im Kindergarten, später in der Schule, bei den Mitschülern und vor allem deren Eltern. Auseinandersetzungen im Zusammenleben mit Heiner und dessen Partnerinnen wechseln ab mit wunderbaren Kindheitserlebnissen. Frustrierende Erscheinungen des beginnenden Konsumterrors beim Kind zeigen sich: Bis es endlich zur Adoption kommt, vergehen Jahre, die Entwicklung des Jungen nimmt immer krassere Auswüchse an. Es hat zeitweise den Anschein, dass der Sport sein deutlich zu Tage tretendes Anderssein übertüncht. Doch auch im Mannschaftssport wird die ausgeprägte Individualität des Jungen zum Problem. Die sich häufenden pubertären Auswüchse bringen Heiner nicht nur einmal an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Als alleinerziehender Vater, der auch beruflich voll gefordert ist, den Haushalt zu schupfen hat, eine Beziehung zu Ruth aufbauen und leben möchte, hat er mehrfach die „Nase voll“. Beigezogene Therapeuten, Schulpsychologen, Schuldirektoren aber auch einfache Lehrer, sie alle wollen, aber können nicht helfen. Letztlich bleiben Jani und Heiner allein.
Es kommt was, kommen muss: Abgleiten in die Kleinkriminalität, dann immer rasanter in die Drogenszene bis zur vollkommenen Karriere als Profidealer, Schläger, Dieb, bis zu einer Verurteilung vor dem Jugendstrafgericht und später dem Tod einer Freundin aus der Clique des Jani.
Das Ende der Personen und des Romans verschweige ich, das sollen die Leser selbst erfahren.
Soweit das, worum es im neuen Roman von Heinrich von der Haar geht. Eines steht fest: Schreiben, Spannung aufbauen, das kann er, der Heinrich!
Doch das hat er in den beiden Vorgängerromanen bereits gezeigt - flüssig geschrieben, die Spannung treibt unerbittlich weiter, es bleibt kaum eine Atempause während der Lektüre. Und doch...
Der Rezensent stockt.
Das Entstehen des Buches konnte ich teilweise miterleben, das Ringen des Autors mit sich und dem Stoff, das Verwerfen, Neubeginnen, Umschreiben... den ganz normalen Alltag des Schriftstellers, der mit sich, dem Stoff, dem Wort, der Materie ringt. Was will Heinrich von der Haar? Ist es nicht genug, eine tolle Story zu haben, die den Leser fesselt bis zur letzten Seite? Es soll auch die Weltanschauung des Autors Platz finden! Verzweifelt schildert der Autor, wie sein Protagonist das Anderssein seines Sohnes nicht zur Kenntnis nehmen, nicht wahrhaben will. Es darf nicht sein, was nicht sein kann – möchte man dem Heiner zurufen! Die unendliche Güte, das Immerwährende Verstehen, Verzeihen des Vaters, dessen nächtelangen Suchaktionen nach dem Jungen in den Drogenbars Berlins, den Bahnunterführungen, den Müllhalden, Polizeiwachzimmern, Krankenstationen, es hat für den Leser nach etwa 300 Seiten etwas Mutter-Theresa-Haftes, wird unglaubwürdig, unbegreiflich, nicht mehr nachvollziehbar. Alle Begleitpersonen, Pädagogen, Therapeuten sind in einer Hilflosigkeit dargestellt, wie sie niemals auf die Menschen losgelassen werden dürften! Sind diese beruflichen und beamteten Helfer in Berlin wirklich alle Versager, selber Alkohol und Drogenabhängige oder einfach nur Desinteressierte?
Man glaubt es nicht, kann und will es nicht glauben


Hans Bäck
Europa Literaturkreis Kapfenberg
FDA-NRW
PEN Trieste

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