Heinrich von der Haar
Kapuzenjunge
Kulturmaschinen Verlag Ochsenfurt
ISBN 978-3-943977-90-5
Am 21. 8. wurde das Buch zugestellt, ich begann am Abend mit der Lektüre, und war am 22. 8.
um 02h15 fertig. Meine Notizen zusammengeräumt, ins Bett und am Vormittag ins
Cafe. Ab 12h zu Hause und im Radio auf Ö1 das Mittagsjournal gehört. Da war die
Journalistin und Buchautorin Petra Ramsauer zu Gast und sprach mit dem
Moderator über die Rückholung der IS-Kinder und Waisen nach Deutschland und
Österreich. Plötzlich ergab sich für das Buch von Heinrich von der Haar eine
ungeahnte Aktualität! Was ist zu tun? Diese Kinder in dem mörderischen Milieu
zu belassen, den Großeltern die Kinder und die Verantwortung übertragen, diese
Kinder zu Hause aufzunehmen und zu Deutschen und Österreichern zu erziehen? Die
Journalistin sprach wörtlich von wandelnden Zeitbomben, die in diesen syrisch/kurdischen
Lagern heranwachsen. – Dieses Interview war nicht einmal 24 Stunden nach der
Lektüre des „Kapuzenjungen“!!
Doch nun zu dem neuen Roman
von Heinrich von der Haar:
Vor einigen Jahren begann er
mit dem Erfolgsroman „Mein Himmel brennt“, es folgte der „Idealist“, wir kennen
daher die Protagonisten weitgehend: Heiner hat einen libanesischen Jungen,
Vollwaise, bei sich aufgenommen, will ihn zu einem vollwertigen und
akzeptierten Mitglied der deutschen Gesellschaft machen. Der alleinerziehende Vater
scheut sich nicht, seine gesellschaftlichen Ideale, wie Gewaltfreiheit,
fördernde Erziehung, klassenlose Gesellschaft, Überwindung des Konsumzwanges
und Kapitalismus auch bei der Erziehung seines Jani umzusetzen. Als Lehrer in
berufsbildenden Institutionen für benachteilige Jugendliche kennt er die
Anforderungen und Erwartungen. Verhaltensauffälligkeiten des kleinen Jani
bereiten Probleme im Kindergarten, später in der Schule, bei den Mitschülern
und vor allem deren Eltern. Auseinandersetzungen im Zusammenleben mit Heiner
und dessen Partnerinnen wechseln ab mit wunderbaren Kindheitserlebnissen.
Frustrierende Erscheinungen des beginnenden Konsumterrors beim Kind zeigen
sich: Bis es endlich zur Adoption kommt, vergehen Jahre, die Entwicklung des
Jungen nimmt immer krassere Auswüchse an. Es hat zeitweise den Anschein, dass
der Sport sein deutlich zu Tage tretendes Anderssein übertüncht. Doch auch im
Mannschaftssport wird die ausgeprägte Individualität des Jungen zum Problem.
Die sich häufenden pubertären Auswüchse bringen Heiner nicht nur einmal an die
Grenzen seiner Belastbarkeit. Als alleinerziehender Vater, der auch beruflich
voll gefordert ist, den Haushalt zu schupfen hat, eine Beziehung zu Ruth
aufbauen und leben möchte, hat er mehrfach die „Nase voll“. Beigezogene
Therapeuten, Schulpsychologen, Schuldirektoren aber auch einfache Lehrer, sie
alle wollen, aber können nicht helfen. Letztlich bleiben Jani und Heiner
allein.
Es kommt was, kommen muss: Abgleiten
in die Kleinkriminalität, dann immer rasanter in die Drogenszene bis zur
vollkommenen Karriere als Profidealer, Schläger, Dieb, bis zu einer
Verurteilung vor dem Jugendstrafgericht und später dem Tod einer Freundin aus
der Clique des Jani.
Das Ende der Personen und des
Romans verschweige ich, das sollen die Leser selbst erfahren.
Soweit das, worum es im neuen
Roman von Heinrich von der Haar geht. Eines steht fest: Schreiben, Spannung
aufbauen, das kann er, der Heinrich!
Doch das hat er in den beiden
Vorgängerromanen bereits gezeigt - flüssig geschrieben, die Spannung treibt
unerbittlich weiter, es bleibt kaum eine Atempause während der Lektüre. Und
doch...
Der Rezensent stockt.
Das Entstehen des Buches
konnte ich teilweise miterleben, das Ringen des Autors mit sich und dem Stoff,
das Verwerfen, Neubeginnen, Umschreiben... den ganz normalen Alltag des
Schriftstellers, der mit sich, dem Stoff, dem Wort, der Materie ringt. Was will
Heinrich von der Haar? Ist es nicht genug, eine tolle Story zu haben, die den
Leser fesselt bis zur letzten Seite? Es soll auch die Weltanschauung des Autors
Platz finden! Verzweifelt schildert der Autor, wie sein Protagonist das
Anderssein seines Sohnes nicht zur Kenntnis nehmen, nicht wahrhaben will. Es
darf nicht sein, was nicht sein kann – möchte man dem Heiner zurufen! Die unendliche
Güte, das Immerwährende Verstehen, Verzeihen des Vaters, dessen nächtelangen
Suchaktionen nach dem Jungen in den Drogenbars Berlins, den Bahnunterführungen,
den Müllhalden, Polizeiwachzimmern, Krankenstationen, es hat für den Leser nach
etwa 300 Seiten etwas Mutter-Theresa-Haftes, wird unglaubwürdig, unbegreiflich,
nicht mehr nachvollziehbar. Alle Begleitpersonen, Pädagogen, Therapeuten sind
in einer Hilflosigkeit dargestellt, wie sie niemals auf die Menschen
losgelassen werden dürften! Sind diese beruflichen und beamteten Helfer in
Berlin wirklich alle Versager, selber Alkohol und Drogenabhängige oder einfach
nur Desinteressierte?
Man glaubt es nicht, kann und
will es nicht glauben
Hans Bäck
Europa Literaturkreis
Kapfenberg
FDA-NRW
PEN Trieste
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