Vom Schenken und sich beschenken lassen–
eine kleine WeihnachtsgeschichteSilvia war traurig. 13 Euro und 40 Cent. Das war ihre ganze Barschaft am Tag vor Heiligen Abend. Wie sollte sie davon ein Geschenk für ihren Mann kaufen?
Gewiss, sie hatten nicht viel Geld, um große Sprünge zu machen, aber ihr Auskommen. Es reichte nur nicht für großzügige Geschenke zu besonderen Ereignissen und Festen wie Weihnachten.
Mit traurigen Augen vor dem Spiegel stehend, kam ihr plötzlich eine Idee. Es gab in der Familie zwei Dinge, die ihr ganzer Stolz waren: Hinnerks goldene Taschenuhr und ihr wunderschönes, langes wallendes Haar.
„Ich verkaufe meine Haare“, sagte sie sich, „dann habe ich Geld, um meinem Mann ein Weihnachtsgeschenk kaufen zu können“.
Gesagt, getan. Sie fand ein Geschäft, das Haar für Perücken aufkaufte. 155 Euro bekam sie für ihre Haare. Den übrig gebliebenen Flaum auf ihrem Kopf bedeckte sie mit einer wollenen Mütze.
Für das so erworbene Geld kaufte sie für Hinnerk die lang ersehnte Uhrkette für seine goldene Taschenuhr. Endlich würde er dieses Erbstück auch öffentlich zeigen können, denn die vom Vater geerbte Uhr war sein ganzer Stolz.
Als Hinnerk nach Hause kam und seine Frau mit dem geschorenen Kopf sah, wurde er bleich. Nicht, weil er sie so nicht mehr leiden konnte, sondern wegen seines Weihnachtsgeschenkes für sie. Es waren die vielen kleinen Kämme und Spangen aus echtem Perlmutt, vor denen sie oft im Schaufenster eines Friseurs gestanden hatte. Sie hätten herrlich ausgesehen in ihren langen Haaren.
Silvia versuchte ihn zu trösten: „meine Haare wachsen ganz schnell wieder nach“.
Und dann erzählte sie ihm, warum ihre Haare so kurz waren und reichte ihm das Päckchen mit der kostbaren Uhrkette. „Ist sie nicht ein Prachtstück, Hinnerk? Ich habe die ganze Stadt abgesucht, bis ich sie gefunden habe. Du kannst Deine Taschenuhr jetzt in der Öffentlichkeit tragen und musst sie nicht mehr im Glasschrank aufbewahren.“
Anstatt diesem Appell Folge zu leisten, ließ sich Hinnerk auf die Couch fallen. „Silvia“, sagte er, „wir sollten unsere Weihnachtsgeschenke wegpacken und eine Weile aufheben. Sie sind zu schön, um sie gleich zu benützen. Ich habe nämlich meine goldene Taschenuhr ins Pfandhaus gebracht, um das Geld für die von Dir immer wieder bewunderten Haarkämme und -spangen zu bekommen.
Jetzt glaube ich, wäre die Zeit, mit unserer vom Großvater geerbten antiken Kaminuhr aus schwarzem Marmor und den mit Kerzen bestückten vergoldeten Beistellern Weihnachten zu feiern.“
Und so geschah es. Es wurde ein schönes und harmonisches Weihnachtsfest.
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