„An diesem Abend brach die Hölle los. Die Unterwelt hat ihre
Porten aufgetan und ihre niedrigsten und scheußlichsten unreinsten Geister
losgelassen. Die Luft war von einem unablässig gellenden, wüsten, hysterischen
Geschrei erfüllt, aus Männer- und Weiberkehlen, das tage- und nächtelang weiter
schrillte. Und alle Menschen verloren ihr Gesicht, glichen einer verzerrten
Fratze: die einen in Angst, die anderen in wildem, hasserfülltem Triumph. Es
war die Stunde des Pöbels und ein Begräbnis aller menschlichen Würde.“ Carl
Zuckmayer in seinen Erinnerungen.
Warum nun ich? Ich habe keine Erinnerungen daran, ich bin
Jahrgang 1940, also was solls?
Ich denke daran, dass mein Erzeuger, also mein Vater,
jahrelang ein sogenanntes illegales Parteimitglied war. In Wien lebte, in
einigermaßen eigenartigen Umständen. Es gibt da Fotos, doch nein, das lasse ich
weg. Es reicht mir, daran zu denken, dass er auch in der Menge der
Hundertausenden stand, schrie und brüllte, den Hut schwenkte, ich weiß nicht
was noch alles. Jedenfalls, wie alle PG außer Rand und Band. Daran denke ich.
Ich denke auch daran, dass meine Mutter, damals bei einer
großbürgerlichen Familie mit deutlich Großdeutschem Hintergrund „in Dienst“
war, also als Hausmädchen angestellt. Sie hatte das Glück, dass ihre
„Herrschaft“ kulturell aufgeschlossen war, die führten ihre Hausgehilfin in die
Oper in Graz, ins Theater. Daher konnte die Köchin aus der Obersteiermark
erleben, wie die Grazer Bürger in der Oper bei Aufführungen von Wagner
Meistersingern im Schlussjubel dem Hauptdarsteller „Heil“ zu riefen: „Heil
Lohmann“ „Heil Depser“ und wie die Größen der Grazer Oper zu der Zeit hießen.
Und dann sehe ich die Bilder von Graz, der Stadt der Volkserhebung, wie die
Menschen in den Straßen schrieen, brüllten, Fahnen schwenkten. Und wieder der
Gedanke daran: Sie auch? Womöglich im Schlepptau der „Herrschaft?“ Zu der Zeit
hatte ich schon zwei Brüder, halbwüchsig würde man heute sagen. Der eine
landete bald bei der SS, der andere, „normal“ bei der Wehrmacht. Die beiden
auch? Brüllend, schreiend?
Das ist es, was mir im Gedenken, was vor 80 Jahren in
Österreich geschah, kalte Schauer über den Rücken jagt. Den Einen, den
Erzeuger, habe ich nicht mehr genau kennen lernen müssen, aber die anderen
drei? Die Mutter hatte später, mich so erzogen, als Summerhill noch kein Thema
war, gewaltfrei, musisch orientiert, all das, was mich bis heute prägt. Sie
stand irgendwo in Graz am Hauptplatz, in der Herrengasse, schwenkte Fahnen,
schrie, jubelte, ... unvorstellbar für mich und doch wahrscheinlich so gewesen.
Gruseln und kalte Schauer über den Rücken!
Heute, 80 Jahren später!
Was bleibt? Ein permanentes Unbehagen, wenn Menschen auf die
Straßen gehen. Egal, ob es sich um linke oder rechte Chaoten handelt. Ob sie
mit Trillerpfeifen, Schlüsselbunden, Kochtöpfen lautstark für ihre ach so
berechtigten Anliegen auf die Straßen gehen. Glauben sie zumindest, es zu
müssen. Einverstanden, wir haben das Recht der Demonstrationsfreiheit und dafür
würde sogar ich auf die Straße gehen, sollte das jemand antasten. Aber:
Muss dabei mutwillig, böswillig, bösartig Eigentum anderer
beschädigt werden? Mistkübel angezündet, Pflastersteine geworfen, Schaufenster
eingeschmissen? Sage niemand, bei uns gäbe es das nicht! Am Montag, dem 26.
März eine kleine Meldung in der Zeitung, „Demonstranten zogen eine Spur der
Verwüstung durch Wien“ brauchen wir das??? Die andere Meldung vom selben Tag:
„Über eine Million bei Demos“ gegen die Waffengesetze in den USA, junge Redner
rührten die Menschen zu Tränen – ohne Tränengas der Polizei!
Nur weil Eigentum angeblich für manche Demonstranten
schlecht ist, darf man das zerstören? Respekt wäre einzufordern!
Auch bei so genannten „berechtigten“ Anliegen der Menschen!
Ich habe zu Beginn Zuckmayer zitiert, abschließend möchte
ich Albert Schweizer zitieren, der nach langem Nachdenken im Dschungel von
Lambarene zur Erkenntnis kam, dass die Ehrfurcht
vor dem Leben mit dem Mut die Hoffnung entwickelt und so zu einer
weltbejahenden Kultur führt.
Hans Bäck
In der Karwoche des Jahres 2018
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