Montag, 1. Januar 2018

"Gaukler" - Eine Buchrezension



Christine Teichmann
„Gaukler“
Roman, Keiper Graz
ISBN 978-3-903144-26-2

Eine Rezension von Hans Bäck.

Lange mussten wir warten, die „Raubtiere“ sind schon längst verhungert, immerhin erschienen sie bereits 2009, aber das Warten hat sich gelohnt.
Inzwischen sind auch in der Zirkuswelt Veränderungen eingetreten, es dürfen beispielsweise in den Manegen keine Wildtiere vorgeführt werden. Also bleiben die Clowns, die Artisten aller Sparten. All jene, die uns Illusionen vormachen, etwas vorgaukeln – eben die Gaukler.
Christine Teichmann schildert in ihrem neuen Roman an Hand des Zirkuskindes Dora, das sich längst vom „Milieu“ emanzipiert, den Zirkuswagen, das Wanderleben hinter sich gelassen und eine ganz normale Familie begonnen hat.
Erfolgreichen Gatten im Mittleren Management, sie selber ein abgebrochenes Psychologiestudium (no na, gerade Psychologie) aber einen guten Job als Personalreferenten in der Human-ressources Abteilung in der selben Firma, zwei Kinder im besten, d. h. im schwierigsten Alter der Pubertät, den schon längst überfälligen Seitensprung souverän hinter sich gebracht und nun am Höhepunkt der Krisis, wo die Überlegung ansteht, mit einem Maximilian dem Großen einen Neuanfang, ein neues Verhältnis, ein irgendwas-nur-was-Neues zu starten. Natürlich der Rettungsversuch durch den Ehemann, und dann das entscheidende Ereignis: ein schwarz umrandetes Kuvert langt ein, der Tod der Mutter wird gemeldet und das Begräbnis bereits für den Folgetag angesetzt. In aller Eile organisiert Dora eine Platz im ICE nach Graz, für die Kinder zu einem Schulfest eine Feuershow – immerhin hat sie das ja jahrelang gemacht, ihre Abwesenheit im Büro, all das was eine berufstätige Frau und Mutter eben bei überfallsartigen Ereignissen zu machen hat oder was von ihr klischeehaft erwartet wird.
Langsam rollt das Leben vor der Zeit im Großraumbüro vor ihr ab, wie der berühmte Film, den jeder Leser kennt, wenn Protagonisten in Lebensgefahr ihr Leben im Zeitraffer nacherleben. Die erste Begegnung mit Erich, dem späteren Ehemann, die gemeinsamen Bergtouren, aber auch die Kindheits- und Jugenderlebnisse in der Welt der Eltern, die als Artisten, Clowns, Akrobaten, Jongleure durch die Lande ziehen. Anfangs noch in Hallen, dann später bei den Bier- und Feuerwehrfesten, eben das Leben jener Gaukler, die nie bei Roncalli engagiert wurden, auch nicht in Monaco auftreten konnten. Aber es war immerhin soweit, dass die Eltern die Familie oftmals mehr schlecht als recht ernähren konnten. Das Erdäpfel-Mittags und –Abendmahl kommt oft genug vor. Als der Vater urplötzlich stirbt – standesgemäß in der Manege – hält die Mutter eisern die Familie so lange zusammen, bis ... nein, als Rezensent darf man nicht alles verraten. Jedenfalls, irgendwann ist die Truppe am Ende, in alle Winde zerstreut – bis eben die Nachricht vom Tod der Mutter bei Dora im fernen Nordrhein-Westfalen einlangt und das soeben beginnende Chaos (siehe oben: pubertierende Kinder, beginnende Entfremdung der Eheleute Dora und Erich, auftauchen des Maximilian des Großen usw) gehörig durcheinanderbringt. Der Satz vom Chaos, das die Regel ist, von welcher die Ordnung die unwahrscheinlichste Ausnahme darstellt (Peter Sloterdijk) findet seine schönste Bestätigung in diesem Roman.
Man mag vielleicht einwenden, das kennen wir ja alles aus ungezählten Entwicklungsromanen der letzten 30 Jahre, das wurde ja, seit es üblich wurde, von Ehekrisen und Kindheitsentwicklungen zu schreiben, immer wieder in allen nur denkbaren Milieus geschildert, auch die Welt der Zirkusmenschen und Artisten, der Clowns und Gaukler ist oft genug verwendet worden, um genau diese Probleme darzustellen und zu schildern. Warum also noch ein Entwicklungsroman?
Warum also nicht, lautet die Gegenfrage. Es könnte ja sein, dass sich jemand interessiert, wie das bei den Feuerschluckern nun wirklich funktioniert, was ein Untermann an Aufgaben hat, welche Rolle die Frisur spielt und vor allem, wie die Psychologie im Aufbau einer Nummer angewendet wird. Dass und viele Kleinigkeiten, die uns und ganz besonders den Kindern den Mund offen bleiben lässt, das können wir auf den knapp 220 Seiten der „Gaukler“ von Christine Teichmann erfahren.
Und, lass uns nicht wieder acht Jahre warten, liebe Christine!


Hans Bäck
Kapfenberg
PEN Trieste

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen