Sonntag, 7. Januar 2018

Der Flaschengeist oder Dummheit muss bestraft werden.



von Manfred Kolb

Kürzlich traf ich in meinem Lieblings-Bistro „zum bunten Affen“ wieder mal meinen Freund Christian, Krischi genannt an.
Er war von Beruf Verwaltungsbeamter wie ich, aber im Gegensatz zu meiner Arbeitsbelastung schob er in der Beschwerdeabteilung mehr als eine ruhige Kugel.
Krischi saß vor einem Glas Latte Macchiato und sah nicht glücklich aus. Als er mich herein kommen sah, blickte er kurz auf und rang sich ein gequältes Lächeln ab.
„Hallo“ sagte er mit matter Stimme und deutete auf den freien Platz ihm gegenüber..
Ich setzte mich und schaute ihn eine Weile schweigend an. Dann fragte ich so unbekümmert wie möglich: „wie geht’s, altes Haus, wir haben uns lange nicht mehr gesehen“. Als er schwieg, fuhr ich fort. “und auch lange nichts mehr voneinander gehört!“
Plötzlich richtete er seine Augen auf mich und sagte mit leiser Stimme: „Dummheit muss bestraft werden!“
Als er merkte, dass ich seine Feststellung nicht einordnen konnte, legte er los:
„vor 2 Wochen war ich zu einem Wellness-Wochenende in Sellin auf Rügen. Und auf einem der Strandspaziergänge Richtung Binz entdeckte ich am Spülsaum der Brandung hinter einem Findling eine lange schmale Flasche, verkorkt und versiegelt. Ich stutzte: ein Flaschenpost, die offensichtlich niemand vor mir entdeckt hatte.
Da die Beschaffenheit der Glasoberfläche einen milchig-duffen Charakter aufwies, konnte ich den Inhalt des Gefäßes nicht ausmachen. Das Siegel war dem Aussehen nach älteren Datums. Einen Moment dachte ich daran, den Fund wieder in die Brandung zurück zu werfen, aber dann siegte doch meine Neugier.
„Du hast also die Flasche mit ins Hotel genommen?!, fragte ich neugierig.
„Ja, und mit einem Messer habe ich in  meinem Zimmer dann  das Siegel abgeschnitten und mittels eines Korkenziehers ich die geheimnisvolle Flaschenpost entkorkt. Auch der Korken schien schon sehr alt zu sein.
Krischi schwieg plötzlich, in Gedanken versunken.
„Nun spann mich nicht auf die Folter, alter Freund und verrate mir, was sich in der Flasche befand!“
Mein Gegenüber schien aus weiter Ferne in die Wirklichkeit zurückzukehren. Dann fasste er sich.
„Als ich den Korken vorsichtig herausgezogen hatte, ertönte ein Zischen und eine weiße Wolke strömte aus dem Inneren durch den schmalen Hals nach außen. Ehe ich mich von dem Schreck erholen konnte, nahm die Wolke eine kleine menschenähnliche Gestalt an, die regungslos im Raum schwebend vor mir verharrte.
„Das gibt’s doch gar nicht“, brach es aus mir heraus“, Du hast das geträumt, gib es doch zu!“
„Und warum trafst Du mich in bedrückter trauriger Stimmung an, wenn das nur ein Traum war?“
„Entschuldige bitte“, gab ich nach, „ich wollte Dich nicht verletzten. Aber ungewöhnlich ist das Ganze schon. Das musst Du zugeben.“
Als er nickte, fuhr ich fort: „Und wie ging es weiter?“
Krischi dachte kurz nach: “als ich mich wieder etwas gefasst hatte, hörte ich ein leises Säuseln, das direkt von der Wolkenfigur zu kommen schien. Dann vernahm ich eine seltsam piepsige Stimme, die langsam und bedächtig sprach:
„ich bin ein Geist, vor mehr als 200 Jahren in die Flasche verbannt. Wer mich befreit, hat drei Wünsche frei, die ich ihm ohne Wenn und Aber wortgetreu erfülle!“
„Nu mach aber mal einen Punkt, unterbrach ich ihn, „das ist nun wirklich eine tolle Klamotte, was Du mir da erzählst: ein Geist, der Dir die Erfüllung von drei Wünschen anbietet. Wo gibt’s denn sowas!“
„Das dachte ich zuerst ja auch. Als ich meine Augen schloss und wieder öffnete, war der Geist noch immer da und wiederholte in gleicher Weise wie zuvor sein Angebot, mir als Gegenleistung für seine Befreiung drei von mir geäußerte Wünsche zu erfüllen. Ich sollte mir gut überlegen, was für mich das Wichtigste im Leben sei“
„und was hast Du Dir denn gewünscht?
„Viel Zeit hatte ich ja nicht, da die Wolke langsam anfing, sich aufzulösen. Also sagte ich dem Flaschengeist schnell: ich wünsche mir erstens eine Villa mit einem großen Grundstück und Meeresblick, zweitens einen Haufen Goldbarren in einem Schließfach einer Bank in Irland, der mir das Auskommen bis zum Lebensende sichert, und drittens nie wieder im Büro arbeiten zu müssen.
„und was geschah dann?“, fragte ich atemlos.
Krischi schwieg wieder, wobei seine Gesichtszüge von Traurigkeit geprägt waren.
„Der Flaschengeist sagte nur sieben Worte mit seiner piepsigen Stimme: Also gut, Deine drei Wünsche werden Dir von mir erfüllt!“
Dann löste sich die Wolke quasi in nichts auf. Ich stand verdattert da, die leere Flasche in der Hand. Ich hatte schon an einen Zaubertrick oder einen üblen Scherz gedacht, als plötzlich ein lautes Brausen ertönte, das den Raum ausfüllte und von mir Besitz ergriff. Und wie auf Flügeln sauste ich durch die Luft und fand mich auf meinem Bürostuhl im Beschwerdeamt wieder, wo man mir zu meinem Erstaunen verkündete, dass ich ab sofort in den Außendienst versetzt worden sei.
Na sieh mal an“, warf ich ein: „den Wunsch, nicht mehr im Büro arbeiten zu müssen, hat Dir der Flaschengeist ja erfüllt! Das war also einer der drei Wünsche.. Und die anderen beiden? Ich meine die Villa am Meer und der Haufen Goldbarren.“
Krischi seufzte und schlug plötzlich wütend mit der flachen Hand auf den Bistro-Tisch, dass die anderen Gäste erschreckt zu uns herüber sahen. Seine Augen blitzten: „wie konnte ich das nur vergessen! Ich Idiot habe doch glatt versäumt, den Flaschengeist zu fragen, wo ich die Villa finde und auf welchem Schließfach welcher Bank in Irland die Goldbarren deponiert sind!“.
Und zu mir gewandt: „Siehst Du, wie ich schon sagte, Dummheit muss bestraft werden!“

ENDE

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