Engelsdorfer Verlag Leipzig
ISBN 978-3-96145-263-7
Wenigstens weiß ich jetzt, was es alles in der DDR nicht gab! Beispielsweise Rotwein-Werbung per Telefon mit anschließendem Vertreterbesuch, Vertragsveränderungen von Telefonanbietern, selbstständig agierende Pflegedienstleistungen, kompliziert zu bedienende Haushaltsgeräte und so vieles mehr. Dem österr. Rezensenten fällt erst beim Durchlesen dieser Kurzgeschichten auf, wie weit wir schon manipuliert werden, wie Verantwortung auf den Konsumenten abgeschoben wird. Gut, soweit die allgemeine Klage über die Auswüchse der Marktwirtschaft, die auch wir, die im Westen geborenen kennen. Nur, uns ist das mehr oder weniger in Fleisch und Blut übergegangen, manche der geschilderten Vorkommnisse regen uns nicht mehr auf, wir haben uns daran gewöhnt, können damit umgehen. Nun kommt eine Pensionistin der ehemaligen DDR daher und hält uns einen Spiegel vor. Ist ja nicht so schlecht, von Dritter Seite erzählt zu bekommen, wie wir beschissen werden, uns bescheissen lassen und noch Danke dafür sagen.
Diese Kurzgeschichten sind einerseits ein Hilferuf einer Pensionistin, die sehr wohl ein eigenbestimmtes Leben führen kann, sich in der Lage sieht, auf die geänderten Verhältnisse einzusteigen und trotzdem immer wieder an die Grenze der Zumutbarkeit gerät. Was ist nun zumutbar? Literaten haben ganz bestimmt die Aufgabe, ihren Finger auf Dinge zu legen, die sie nicht in Ordnung befinden, sie haben auch die Aufgabe, aufzuzeigen, welche Entwicklungen anstehen, was auf uns zukommt und einiges mehr. Sie haben aber sicher nicht die Aufgabe, die Welt zu verändern. Dazu sind die Literaten nicht geeignet, davon sollen sie auch die Finger lassen.
Sigrid Uhlig legt ihre Finger sehr wohl auf Unzukömmlichkeiten unserer Gesellschaft, zwischen den Zeilen trauert sie immer ein wenig der alten DDR nach, in der einfach Verschiedenes nicht vorkam, nicht vorhanden war, nicht möglich war. Herrlich ist der versteckte Hinweis im Vorwort, dass die neue Gesellschaftsordnung, wie sie nun vorgefunden wurde, in den Lehrgängen für Marxismus/Leninismus genau beschrieben und interpretiert war. Also hatte der Real Existierende Sozialismus doch recht? Man ist versucht, der Autorin dabei zu folgen. Als unbefangener Leser – das ist auch ein nichtbetroffener – muss man schmunzeln, wenn die Autorin den Alltag im neuen Westen-Wunder-Land schildert. Wie gesagt, wir sind es gewöhnt, haben gelernt damit umzugehen, wissen an welchen Stellen man „Wirbel machen muss“. Und nun sind da die Pensionisten des Staates, der sich um alles gekümmert hatte, wo für die Menschen ganz wenig übrig blieb, um ihre Eigeninitiative zu entwickeln. Fahrstuhlprobleme, Reparaturarbeiten, Handwerker die nicht kommen oder nur ungenau arbeiten, Krankheiten, die plötzlich auftreten und behandelt werden, wo man eine freie Arztpraxis aufsuchen muss/kann/darf.
Heiterkeit, aber nur für den Nicht-Betroffenen Österreicher, Ärger, Wut, Kummer für die vielen anderen? Auch das, aber es bleibt ein nostalgischer Abgesang auf eine untergegangene Welt. Ob da jeder nachtrauert, das fragt sich der nach Lektüre ein betroffen zurückbleibender Österreicher.
Hans Bäck
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