Freitag, 4. September 2020

Mutter; Chronik eines Abschieds von Melitta Breznik - Buchbesprechung

 

Luchterhand ISBN 978-3-630-8750-4

 

 

Melitta Breznik, in Kapfenberg geboren, AHS Matura, Medizinstudium in Graz und Innsbruck, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, lebt in der Schweiz.

Seit Jahren lässt Breznik immer wieder mit ungewöhnlichen Büchern aufhorchen. Ungewöhnlich, da immer wieder – und nicht nur zwischen den Zeilen – ihr Beruf durchleuchtet. Sie ist eine begnadete Schriftstellerin, welche anscheinend die Doppelbelastung - oder doch besser Doppelbegabung - anscheinend immer wieder bewältigt.

Nun legt sie einen schmalen Band vor – gerade einmal 160 Seiten – um vom Sterben ihrer Mutter zu berichten. In der Flut von Büchern zu diesem Thema, die nicht nur seit Corona über uns hereinbrechen, ist das eine wohltuende Ausnahme. Natürlich, es geht um das Abschiednehmen, das Loslassen, es geht um die alltäglichen Belastungen, welche auf die pflegende, begleitende Tochter hereinbrechen. Es geht auch um die Frage, was kann, darf, soll eine Tochter, die eben zufällig Ärztin ist, der unendlich leidenden Mutter an Erleichterung verschaffen. Ja, es wird ausgesprochen: An eine Verkürzung des Leidens denken? Das nehme ich als Rezensent vorweg, trotz der Möglichkeiten in der Schweiz, in der die Autorin lebt, wird das nicht vorgenommen. Erleichterungen ja, aber selbst die Verabreichung von Schmerzmitteln wird zur Überlegung „Wo beginnt die aktive Sterbehilfe und wo ist sie passiv, beeinflusst doch die kleinste Handlung den Sterbeprozess, jedes Geben oder Weglassen einer Schmerztablette, einer Infusion oder einer Beruhigungstablette.“ (S 129).

Die Autorin verschweigt auch nicht die psychischen und physischen Belastungen, die sich ergeben, die Belastungen durch „gutgemeinte“ Hilfsangebote, das Beharren der Mutter, möglichst lang selbstbestimmt zu bleiben – ohne es als Sturheit zu bezeichnen, das wäre die herkömmliche, ortsübliche Aussage des Außenstehenden. Doch das kommt im Wortschatz von Breznik nicht vor. Sie hat als erfolgreiche und arrivierte Autorin ein anderes Repertoire  zur Verfügung.

Und sie lässt den Leser teilhaben an der Stille, welche die beiden Frauen in den Nächten umfängt, aber auch an den hellen Tagen, wenn die Mutter, erschöpft von den Mühen der Morgentoilette, wieder einschläft und die Tochter ebenso erschöpft die Stille in sich aufnimmt.

Eine Studentin der Uni Wien fragte den Rezensenten anlässlich eines Telefongespräches, wie autobiografisch die Texte von Melitta Breznik seien. Nun, nach einer Rücksprache mit einer der Helferinnen, die auch im Buch erwähnt wurde, ist dieses Abschiednehmen sehr genau und umfassend beschrieben. Es stellt sich jedoch die Frage, warum will das jemand wissen? Jemand, der die Autorin nicht kennt, womöglich nur vom Buch gehört hat? Was bedeutet für einen Leser, eine Leserin noch dazu eine junge aus der nächsten Generation, die Authentizität eines Textes? Ich habe der Anfragenden nur die Antwort gegeben, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die meisten Texte der Schriftsteller irgendwo autobiografisch sind, ob sie damit auch schon authentisch sind, ist eine andere Frage. Beim Buch von Melitta Breznik halte ich persönlich die Frage nach dem „Umfang“ der Autobiografie für unanständig. Die Autorin legt hier einen ganz entscheidenden Abschnitt, zeitlich ja nur ganz kurz, vom 17. Oktober bis zum1. Dezember, ihrer Mutter-Tochter Beziehung dar und lässt den Leser Einblick nehmen in den großen Abschied, der in irgendeiner Form uns allen bevorsteht. Der große Abschied, der ein stilles Hinübergleiten sein kann, ein fürchterliches Aufbäumen, ein theatralisches Abtreten, egal, es bleibt ein ganz persönliches, intimes „Fortreisen für immer“ (Seite 158).

Es wäre schön, diesen Text auch von der Autorin persönlich einmal vorgetragen zu bekommen. Immerhin, ihr letzter öffentlicher Besuch in ihrer Heimatstadt liegt auch schon wieder 7 Jahre zurück. Wäre das eine Anregung, liebe Fr. Dr. Breznik?

 

Hans Bäck

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