Donnerstag, 3. Mai 2018

Die monatliche Raunzerei im April 2018


von Hans Bäck
Kapfenberg

Nein, keine Angst, man soll nicht glauben, dass der Stoff aus dem die monatlichen Raunzereien gemacht sind ausgeht. Allein das Wort „raunzen“ ist ja schon eine Kostbarkeit. Angeblich stammt es althochdeutsch vom „ronezon“ = murren ab und bedeutet heute weinerlich klagen, dauernd unzufrieden sein.
Ja, zum Teufel noch einmal, soll man nicht dauern unzufrieden sein und raunzen?
Allenthalben geht es mir gegen den Strich, wie mit der Sprache umgegangen wird. Nein, keine neuerliche Klage über das „gendergerechte“ Schreiben – darüber hatte ich mich schon einmal aufgeregt (werde es bei Bedarf weiterhin tun), ärgere mich nach wie vor darüber und vermeide es persönlich so weit als möglich. Daher, diesmal keine Seitenhiebe gegen die „Kabarettinnen“ und „Kabaretten“ obwohl, ein wenig in das Kabarett hineinstochern möchte ich trotzdem.
Also, was zuerst? Kabarett? Sprachverhunzung?
Kabarett: speziell politisches Kabarett ist unglaublich wichtig und die Texteschreiber für Kabarettisten können sich bei den Wählern bedanken, dass die Wahlen so ausgegangen sind, wie sie ausgegangen sind. Das ist doch toll, nun kann jeder viertklassige Kabarettist (wobei die Kabarettistinnen immer mitgemeint sind) nach Herzenslust losziehen und loslegen. Das zustimmende Wiehern des Publikums am Abend ist gesichert, es genügt nur sich vorzustellen, wie der durchschnittliche österreichische Polizist sich auf einem Pferd in der Wiener Innenstadt ausmacht. Wie hießt es seinerzeit im legendären Watschenmann (der sollte übrigens als Lehrbeispiel für alle derzeit tätigen Kabarettisten dienen – das war damals Kabarett in höchster Vollendung!) doch zurück zum Watschenmann: „Solchene Sachen lassen sich nicht erfinden – nicht einmal von unserem Etablissement“ Nein, die besten Kabarettszenen liefert immer noch die tägliche Politik – daher Dankgottesdienste aller in Kabaretts Tätigen, dass die Wahlen so ausgingen, wie sie ausgegangen sind. So schön lässt sich über den Rechtsruck Österreichs, Ungarns, Polens, ja selbst Deutschlands (AfD!!) räsonieren. Mein Gott, was kann oder könnte man da an guten Texten machen – könnte! Konjunktiv! Vergessen wird dabei eine Kleinigkeit. Nämlich die Wahlbeteiligung. In allen Staaten, die ich (zugegeben unvollständig) anführte lag die Wahlbeteiligung deutlich unter den Werten der Vergangenheit. Was heißt das nun für das Kabarett und speziell für das politische im Besonderen? Nach der Wahl in Salzburg hat das SORA Institut erhoben, dass die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl nur mehr knapp über 60% lag. Und dann kommts: Die SPÖ stürzte auf den niedrigsten Wert aller Zeit ab und 20% der früheren SPÖ Wähler blieben zu Hause. Die Grünen verloren ebenfalls fast die Hälfte ihrer früheren Wähler, weil lt. SORA 16% der früheren Grünwähler nicht zur Wahl gingen!
Daraus lässt sich natürlich kein Kabaretttext machen, ebenso aus der Tatsache, dass dieses Phänomen bereits vor drei Jahren in Polen auftrat, dann eben in Deutschland (besonders in den sogenannten Neuen Bundesländern), danach in Ungarn und eben auch in Österreich – schon bei der NR Wahl im Herbst 2017 und erst recht in den Landtagswahlen im heurigen Jahr. Aber darüber einen Kabarettszene zu schreiben, nein, das lohnt nicht.
1958 forderte der Schriftsteller, Dramatiker G. Weissenborn in seiner „Göttinger Kantate“: Denken Sie Ihren Gedanken zu Ende!“ Darüber sollte man (auch) nachdenken! Von allen Ecken, Türmen und Toren ertönt der Ruf „Wehret den Anfängen“ Nachzudenken, zu Ende denken und nicht irgendwo an einem Schlagwort hängen bleiben – weil es so schön aktuell ist oder ein guter Sager scheint – nein, wirklich zu Ende denken! Zum Ende hin denken!
Welche Denkverbote und Denktabus gelten – schon wieder? „Wehret den Anfängen“ und dabei die Grenzen der Meinungsfreiheit markieren? Das ist doch keine Einbahnstraße! Wer gibt jemand das Recht zu fordern, „der oder die“ müsse weg? Wehret den Anfängen! Der gewöhnliche Alltagsfaschismus hat keine eindeutige politische Orientierung! Es gibt ihn von Rechts – no na – es gibt ihn von Links – siehe da!
Zugegeben, es gibt sympathischere Politiker als den derzeit amtierenden Innenminister der Republik Österreich, aber im Chor zu rufen „Der muss weg“ – Nein! Sicher, sein Engagement für Polizeipferde, die Verschärfungen im Asylrecht, seine Umfärbungen im Apparat, all das darf, soll und muss man kritisieren. Doch wer gibt Demonstranten das Recht zu fordern „Der Kickl muss weg!“ Hat er Frauen begrapscht? Nazilieder gesungen? In einer Demokratie muss es möglich sein, andere Meinungen zu haben und diese mit einer gewählten Mehrheit auch umzusetzen! Nein, die Verschärfungen des Asylrechtes dürfen so nicht kommen – einverstanden – es ist unanständig, den Asylwerbern ihr Geld abzunehmen, es ist sicher zweifelhaft, wie bei Aktion im BVT vorgegangen wurde, man kann aber auch der Meinung sein, dass die Spiele in islamischen Moscheen und Kindergärten nicht unserem Verständnis von Kultur entsprechen, all das bedenke ich selbstverständlich. Und wenn jemand mit der gewählten Mehrheit und deren Entscheidungen nicht einverstanden ist, dann hätten diese eben ihre Anhänger mobilisieren sollen und zur Wahl gehen! Aber: „Der Kickl muss weg“ - genau jene, welche Toleranz einfordern, sollten die sein, die für das bessere Argument eintreten, Lösungen suchen. Leider ist es wieder einmal unmöglich, nicht den berühmten Satz von Voltaire zu zitieren: „Ich missbillige Ihre Meinung, aber ich werde alles daran setzen, dass Sie diese sagen dürfen!“
Gut, nein, nicht gut, was hat das mit meiner monatlichen Raunzerei konkret zu tun?
Die Präsentation des Reibeisen Nr. 35 in Kapfenberg geriet zu einem Polit-Kabarett, das nicht einmal von großer Qualität war. Bitte auseinander zu halten: eine Moderation zur Vorstellung einer Literaturzeitschrift ist etwas andres als ein Kabarett zur aktuellen politischen Situation!

Das war nun schon sehr viel, aber ein wenig muss ich noch unterbringen:
Es geht mir wirklich auf die Nerven, wie in allen möglichen Zeitschriften die Sprache verhunzt wird. Dass in angeblichen „Livestyle“ Magazinen es nur so von Anglizismen wimmelt, das gehört dazu, das erwartet die „urbane Community“ wenn aber im stockkonservativen Alpenverein und dessen Publikation „Bergauf“ nicht nur in der Werbung der Bergausrüster es von Softshells und anderen Blödheiten wimmelt, gratis early check ins beworben werden sondern auch in redaktionellen Texten vom Climbing, hard skills and soft skills, coole Bergsteigersongs nein aus – mir reichts!
Sind wir Österreicher auch Deutsche? Ein (deutscher) Kultusminister sagte einmal in einem Interview, eine Nationalkultur definiere sich ganz einfach durch die Sprache. Nun ja, ich hatte bei einer Lesung in Berlin (Städtische Bücherei Luisenbad) Zeit und durch das Umherstreife Hunger bekommen. Was heißt Hunger? Nicht direkt, einfach einen Gusto auf etwas zu Hineinbeißen. Eine Currywurst - nein danke. Döner? Auch nicht. Ein kleiner Laden hatte offen. So einen, wo es alles Mögliche gab, eine Metzgerei – auf österreichisch eine Fleischhauerei. Genau, das mag ich – dachte ich mir. Die Verkäuferin womöglich bereits beim Zusammenräumen, es war schon knapp von 19h war vom späten Kunden nicht sehr begeistert, umsomehr als ich darum ersuchte zwei Wurstsemmeln zu bekommen. „Bitte was? „Na, einfach zwei Semmeln und etwas Extrawurst oder Schinken hinein“ „Extrawürste braten wir nicht.“ „Gut, geben Sie mir ca. 15 Deka Schinken, schneiden zwei Semmeln durch und legen die Schinkenblätter hinein.“ „Sind die 15 Deka nun die 250 Gramm bei uns?“ Ich gab es – fast – auf, zeigte einfach auf zwei Semmeln oder Weckerln, dass ich noch ein Essiggurkerl aufgeschnitten gern gehabt hätte und den Schinken in die Semmeln hineingelegt, das ließ ich bleiben. Ergänzend musste ich noch bemerken, dass die 15 Deka so ungefähr den üblichen 150 Gramm entsprächen. Den bevorstehenden Feierabend der Dame wollte ich nicht noch mehr kürzen. Was mir allerdings komplett abging, in heimischen Fleischhauereien bekomme ich zu meiner Schinken- oder Wurstsemmel automatisch eine Serviette dazu verpackt, aber das ist eben dann die andere Leitkultur, dachte ich mir, als ich auf die Straße hinausging. Und wieder einmal  Karl Kraus zitierend: „es trennt uns nichts mehr als die gemeinsame Sprache“ suchte ich mir eine U-Bahnstation um zur Lesung noch rechtzeitig zu kommen.

Aber auch in heimischen Gefilden geht es mir oft nicht gut: Da hörte ich im ORF in einer Sendung meines geliebten Kultursenders Ö1 einen Bericht über das Entstehen eines neuen Innviertels in einer Stadt. Bitte, ein Innviertel? Das ist doch in Oberösterreich und seit 1779 bei Österreich, im Frieden von Teschen kam es von Bayern zu Österreich und wurde dem Bundesland Oberösterreich angegliedert. Und nun entsteht in einer Stadt in NRW ein neues Innviertel? Bis ich beim genauen Hinhören drauf kam, es handelt sich um ein In-Viertel, als ein Grätzel, einen Stadtbereich, der eine neue Belebung erfährt, angenommen wird, einfach „In“ ist Das heißt auch nicht, dass es drinnen wäre. Nein, es ist so, dass Menschen dort einfach hingehen. Weil etwas los ist (vielleicht), man dort Gleichgesinnte trifft, na egal, einfach halt „IN“ it. Was immer darunter zu verstehen ist.

Einen letzten Absatz noch: Das Reibeisen Nr. 35 das Kulturmagazin aus Kapfenberg wurde in den letzten Apriltagen in Kapfenberg und Wien vorgestellt. Das Heft ist hervorragend gestaltet (fast) fehlerlos – aber das war immer schon ein Markenzeichen des Reibeisens – enthält relativ wenig Lyrik, diese aber ausgezeichnet, die Prosabeiträge zeichnen sich durch gute Arbeit aus, während die fremdsprachigen Texte diesmal erweitert um französisch, bretonisch und okzitanisch wie immer den Europa Anspruch des Literaturkreises Kapfenberg bestätigen. Eine kleine aber feine Abrundung der Literatur der österreichischen Nachbarstaaten beschließt die Serie mit dem Fürstentum Liechtenstein. Dabei wird auch die Geschichte dieses Ministaates so geschildert, dass der normale österreichische Lese diesen Exoten unter den Nationalstaaten auch wenig näher kennen lernt. Die Künstlerportraits sind wie immer sehr sorgfältig – auch in der Wiedergabe der Kunstwerke – ausgearbeitet. Ein Heft, das diesmal wirkliche Lesefreude bereiten kann! Schade, dass die Präsentation in Kapfenberg so daneben ging. Es bleibt nur zu hoffen, dass im Oktober bei der Vorstellung in Graz und in Anwesenheit der französischen Autoren mehr Sorgfalt für die Vorbereitung und Moderation aufgewendet wird.

Hans Bäck
Kapfenberg

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